1. Station: Wilhelmstr. 18

Albert Müller, Familie Israelsohn, Ehepaar Maier, Ehepaar Katzenstein

Albert Müller

Unter den jüdischen Bewohnern des Hauses Wilhelmstr. 18 war auch Albert Müller, der letzte Vorsitzende der Synagogengemeinde Minden. Er wurde am 26. März 1869 in Groß Rhüden in der Provinz Hannover geboren. Wann er nach Minden verzogen ist, ist nicht mehr exakt feststellbar, auch nicht, wann seine erste Frau verstorben ist. Aus dieser Ehe ging die 1899 geborene Tochter Erna hervor, die mit ihrer F1_Wilhelmstr.18_DSC_4033amilie ebenfalls in diesem Hause lebte. In zweiter Ehe war Albert Müller mit Agnes Rosenthal verheiratet, die 1898 in Bielefeld geboren wurde. Sie starb am 22. Dezember 1940 in Minden.

In der jüdischen Gemeinde war Albert Müller über viele Jahre aktiv als Vorsitzender des Vereins zur Unterstützung armer Durchreisender.

Albert Müller war Kaufmann und betrieb ein Geschäft für Putz- und Modewaren, vor allem Hutmoden. Das Geschäft, in dem er mehrere Angestellte beschäftigte, befand sich zunächst in der Bäckerstr. 9, ab 1929 in der Hohnstraße 23. Ihm gehörte auch das Wohnhaus Wilhelmstraße 18.

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten litten auch das Geschäft und die Familie unter den antijüdischen Boykottmaßnahmen. 1937 (nach einer anderen Quelle 1938) musste Albert Müller im Zuge der „Entjudung der deutschen Wirtschaft“ sein Geschäft verkaufen, es wurde „arisiert“ und nun als Modehaus von Frau Elsa Kaster betrieben. 1939 wurde er gezwungen, auch sein Wohnhaus in der Wilhelmstraße 18 an eine „arische“ Deutsche zu verkaufen; Käuferin war die Ärztin Dr. Luise Laup aus Minden. Vom Erlös musste er eine sog. Judenvermögensabgabe in Höhe von 4.000,- RM an das Deutsche Reich abführen. Der Rest wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt, so dass er nicht darüber verfügen konnte; auch dieses Guthaben fiel nach seiner späteren Deportation an das Deutsche Reich. Das Ehepaar Müller wurde in eines der sog. „Judenhäuser“ zwangseingewiesen, zunächst in der Heidestraße 21, dann in Mueller, Albertder Königstraße 37.

Am 22. Dezember 1940 starb Agnes Müller. Über das Schicksal Albert Müllers gibt es widersprüchliche Aussagen. Als historisch gesichert kann die jüngste Information des Internationalen Suchdienstes Arolsen gelten. Danach wurde er Ende Juli 1942 verhaftet und über Bielefeld in das KZ Theresienstadt deportiert. Von hier wurde er zwei Monate später in das KZ Treblinka verschleppt, wo sich seine Spur verliert. Er wurde dort zu einem unbekannten Datum ermordet.

Nach der Deportation wurden Hausrat und Möbel beschlagnahmt; der größte Teil ist danach „spurlos verschwunden“, wie es in den Akten heißt. Der Rest wurde für 139,50 RM versteigert; der Erlös floss in die Finanzkasse Minden.

Einer seiner Enkel hat das Naziregime überlebt, Hans Israelsohn, der sich jetzt John Sonn nannte. In den 1950er Jahren strengte er ein Wiedergutmachungsverfahren an, in dem die Käuferin seines großväterlichen Hauses 28.000,- DM Entschädigung an ihn als einzigen überlebenden Erben zahlen musste.

Familie Israelsohn

Im Hause von Albert Müller in der Wilhelmstraße 18 wohnte auch die fünfköpfige jüdische Familie Israelsohn, auch kurz „Sonn“ genannt. – Julius, am 29. Oktober 1898 geboren, war 1919 nach seiner Heirat mit Erna Müller aus Vörden im Kreis Höxter nach Minden zugezogen. Erna, am 5. März 1899 geboren, war die Tochter von Albert Müller. Sie arbeitete als Putzmacherin im Modegeschäft ihres Vaters in der Hohnstraße 23. Ihr Mann Julius war ebenfalls in diesem Geschäft beschäftigt und wurde bald neben seinem Schwiegervater Miteigentümer.

Das Ehepaar bekam drei Kinder: 1925 Tochter Gerda, 1927 Sohn Hans und 1928 Sohn Günter. Alle Kinder hatten unter der Diskriminierung und Verfolgung durch die Nazis zu leiden; alle wurden als Juden aus den öffentlichen Schulen ausgeschlossen. Gerda, die von der Mädchenmittelschule verwiesen worden war, besuchte ab Mai 1940 die jüdische Haushaltungsschule in Ahlem bei Hannover, von wo sie Anfang Dezember 1941 zu ihren Eltern zurückkehrte.

Das Modegeschäft von Albert Müller und Julius Israelsohn litt wie alle jüdischen Geschäfte unter den 1933 einsetzenden Boykottmaßnahmen, die vor allem von der SA organisiert wurden. 1937 oder 1938, genau lässt es sich nicht feststellen, wurde der Verkauf des Geschäfts erzwungen, es wurde „arisiert“ und von Elsa Kaster als Modehaus weiter geführt. Die Familie war nun ohne Einkommen und auf die Unterstützung durch Albert Müller angewiesen.

Nach dem Novemberpogrom von 1938 wurde Julius Israelsohn in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, aus dem er erst Ende September 1939 wieder entlassen wurde. 1941 wurde die Familie gezwungen, ihre Wohnung zu verlassen und in das sogenannte „Judenhaus“ in der Heidestraße 21 umzuziehen, wo sie nun in großer Enge mit mehreren anderen jüdischen Familien zusammen lebte, denen das gleiche Schicksal widerfahren war.

Im Verwaltungsbericht der Stadt Minden von 1941/42 heißt es, dass am 13. Dezember 1941 „im Zuge der Abschiebung von Juden aus dem Reichsgebiet“ 25 Jüdinnen und Juden aus Minden nach Riga „evakuiert“ (!) worden seien. Darunter befand sich auch die ganze Familie Israelsohn. Im Ghetto Riga wurde die Familie auseinandergerissen. Julius und Erna wurden im August 1943 weiter in das KZ Kaiserwald verschleppt, wo Julius 1944 umkam. Erna wurde in das KZ Stutthoff deportiert und fand dort im Februar 1945 den Tod. Auch Gerda kam zu einem unbekannten Datum im KZ Stutthoff um. Günter wurde über das Ghetto Kowno und das KZ Stutthoff im September 1944 nach Auschwitz deportiert und dort vermutlich im Dezember 1944 bei einer sogenannten „Kinderaktion“ ermordet.

Hans Israelsohn wurde von Riga aus noch mehrfach verschleppt in die Konzen-trationslager Stutthoff, Kaiserwald, Buchenwald und Theresienstadt; hier wurde er am 5. Mai 1945 befreit. Er hat als einziges Familienmitglied das Naziregime und die Shoa überlebt. 1945 kehrte er nach Minden zurück, von 1947 bis 1948 lebte er in Osnabrück. 1948 wanderte er in die USA aus. Dort legte er den Namen Hans Israelsohn ab und nannte sich John Sonn. Er starb 1988 in den USA.

Ehepaar Maier

Maier, Jenny

Karl Maier und seine Ehefrau Jenny wohnten nur 1 ½ Jahre in Minden, bevor sie wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum deportiert und ermordet wurden.

Karl Maier wurde am 20. April 1879 oder 1880 in Horkheim bei Heidelberg geboren. Von Beruf war er Viehhändler. Seine Frau wurde als Jenny Loebmann am 5. November 1883 in Wollenberg Krs. Heilbronn geboren. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: den 1909 geborenen Sohn Justin und die 1912 geborene Tochter Erna, die nach ihrer Heirat Levy hieß. Maier, Karl

Die Familie wohnte zunächst in Sontheim Krs. Heilbronn und verzog später nach Wollenberg, wo sie Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Anwesens mit Wohnhaus war. Hier betrieben Vater und Sohn seit 1919 gemeinsam ein gut gehendes Viehhandelsgeschäft, in dem Jenny vermutlich die kaufmännischen Arbeiten erledigte. Dieses Geschäft litt nach 1933 stark unter den antijüdischen Boykottmaßnahmen. 1937 wurde den Eigentümern die Konzession des Viehhandels entzogen, was den wirtschaftlichen Ruin bedeutete.

Nach dem Novemberpogrom von 1938 wurde Karl Maier am 11. November verhaftet und in das KZ Dachau verschleppt, aus dem er erst am 15. Dezember 1938 wieder frei kam.

Im Herbst 1940 verließen Karl und Jenny Maier Wollenberg, um für einige Monate bei dem Sohn unterzukommen, der nach Hausberge verzogen war. Anfang Januar 1941 zogen sie dann nach Minden. Sie wohnten zunächst am Kleinen Domhof und dann im Hause von Albert Müller in der Wilhelmstraße 18.

Ende Juli 1942 wurden sie gemeinsam mit vielen Mindener Jüdinnen und Juden verhaftet und nach Bielefeld verschleppt, von wo sie am 31. Juli in das KZ Theresienstadt deportiert wurden. Hier ist Karl Maier umgekommen, und zwar vermutlich am 12. Oktober 1943. Seine Frau Jenny wurde am 15. Mai 1944 weiter nach Auschwitz deportiert, wo sie an einem unbekannten Tage umkam. Beide wurden später zum 31. Dezember 1945 für tot erklärt.

Die beiden Kinder des Ehepaares Maier überlebten. Erna war rechtzeitig die Flucht aus Deutschland gelungen; Justin wurde in das Ghetto Riga deportiert und konnte nach seiner Befreiung zurückkehren.

Ehepaar Katzenstein

Im Hause Wilhelmstraße 18 wohnte von 1935 bis 1941 auch das jüdische Ehepaar Sally und Gietha Katzenstein.

S1_Sally Katzensteinally Katzenstein wurde am 10. April 1890 im nordhessischen Jesberg geboren, seine spätere Ehefrau als Gietha Nußbaum am 5. August 1891 in Rhina, ebenfalls in Nordhessen. Sie heirateten 1913. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor: Elfriede, 1914 geboren, hieß später nach ihrer Heirat Berliner; die zehn Jahre jüngere Ruth Rika nach ihrer Heirat Rosenberg. Beiden Töchtern gelang vor Kriegsbeginn die Flucht ins Ausland; sie lebten später in Tel Aviv bzw. in Glasgow.

1_Gietha KatzensteinSally Katzenstein war Lehrer und Prediger. Er unterrichtete ab 1911 an der israelitischen Schule im nordhessischen Breitenbach, von 1921 bis 1934 an der städtischen jüdischen Schule in Soest. An beiden Stellen war er verpflichtet, bis zu vier Wochenstunden Unterricht an der Fortbildungsschule zu erteilen. In Soest war er auch Prediger in der Synagogengemeinde.

Schon kurz nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, am 7. April 1933, wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen, das die Entfernung unerwünschter Beamter, besonders jüdischer, aus dem öffentlichen Dienst bezweckte. Ihm fiel auch Sally Katzenstein zum Opfer. Am 29. März 1934 wurde er aus dem Schuldienst entlassen.

Am 1. September 1935 zog die Familie nach Minden um und fand eine Unterkunft im Wohnhaus von Albert Müller in der Wilhelmstraße 18. Sally Katzenstein wurde örtlicher Vertrauensmann der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, später auch Prediger in der Mindener Synagogengemeinde. Als jüdische Kinder vom Besuch öffentlicher Schulen ausgeschlossen wurden, erteilte er ihnen Unterricht in privaten Räumen.

Nach dem Novemberpogrom von 1938 musste Sally Katzenstein, obwohl jetzt ohne Einkommen, eine „Judenvermögensabgabe“ in Höhe von 1.400,- RM an das Deutsche Reich zahlen. Diese Abgabe wurde zynisch auch „Judenbuße“ genannt. Mit ihr mussten die Juden selbst für die Sachschäden aufkommen, die ihnen bei dem Pogrom zugefügt worden waren.

Anfang 1939 versuchte die Familie, nach Palästina zu emigrieren, die Emigration wurde jedoch nur der Tochter Ruth Rika erlaubt. Ihre Schwester Elfriede war bereits 1936 ausgewandert. 1941 stellten Sally und Gietha einen Einwanderungsantrag in den USA, der dort auch genehmigt wurde. Die Auswanderung scheiterte wegen des Kriegseintritts der USA.

1941 wurde das Ehepaar Katzenstein gezwungen, seine Wohnung zu verlassen und in das sogenannte „Judenhaus“ in der Kampstraße 6, das jüdische Gemeindehaus, umzuziehen, wo es zusammen mit vielen anderen Jüdinnen und Juden in größter Enge leben musste.

Im Frühjahr 1943 waren Sally und Gietha Katzenstein die letzten noch in Minden lebenden Juden. Aber auch sie wurden am 12. Mai 1943 verhaftet und über Bielefeld in das KZ Theresienstadt deportiert. Von hier wurden sie im Herbst 1944 in getrennten Transporten weiter nach Auschwitz verschleppt, wo beide im Oktober 1944 ermordet wurden.