9. Station: Kampstr. 25

Ehepaar Cramer

Der für Carl Cramer gelegte Stolperstein wurde zwischen dem 5. und dem 7. März 2011 gewaltsam entfernt und gestohlen. Aus der Bevölkerung kam umgehend Unterstützung für die Beschaffung eines Ersatzsteines. Wir hben den Ersatzstein im Frühjahr 2011 wieder eingesetzt.

Im Hause Kampstraße 25 lebte seit 1931 die jüdische Familie Cramer. 9_Carl CramerDer Vater, der Kaufmann Carl Cramer, wurde am 18. Juni 1872 in Neuenkirchen geboren, die Mutter, Lina Cramer geb. Steinberg, am 23. Januar 1874 in Hohenwepel. Das Ehepaar hatte drei Söhne: Rudolf, geb. am 20. Januar 1906, Ludwig, geb. am 4. April 1908, und Berthold, geb. am 19. Januar 1918. Carl und Lina Cramer waren mit den beiden älteren Söhnen 1912 von Hohenwepel nach Minden verzogen und wohnten vermutlich zunächst in der Pionierstraße.

Wahrscheinlich in den dreißiger Jahren erkrankte Carl Cramer psychisch. Art, Beginn und Verlauf der Krankheit lassen sich nicht dokumentieren, da seine Patientenakte nicht mehr auffindbar ist; vermutlich ist sie während des Krieges vernichtet worden. Fest steht aber, dass er am 4. März 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Gütersloh eingewiesen wurde. Von da an lässt sich sein weiterer Weg bestimmen.

Am 1. September 1939 hatte Hitler in einem Geheimerlass die Ermächtigung zur Durchführung der Euthanasie gegeben. Am 30. August 1940 ordnete der damalige Reichsinnenminister an, dass alle jüdischen Patienten in den norddeutschen und westfälischen Heil- und Pflegeanstalten zum Landeskrankenhaus Wunstorf überstellt werden sollten. So kam Carl Cramer am 21. September 1940 zusammen mit weiteren elf männlichen und sechs weiblichen Patienten von Gütersloh nach Wunstorf. Sechs Tage später, am 27. September 1940, wurden 158 jüdische Patienten von Wunstorf in die Tötungsanstalt Brandenburg a. d. Havel deportiert, unter ihnen Carl Cramer. Er wurde dort noch am selben Tage in der Gaskammer ermordet.

Dass Brandenburg der Tötungsort war, wurde erst später bekannt. Damals wurde den Angehörigen und auch den Heil- und Pflegeanstalten mitgeteilt, die Deportierten seien in die Irrenanstalt Cholm bei Lublin in Polen verbracht worden. Die Sterbeurkunden, die meist Lungenentzündung, Lungentuberkulose oder Fleckfieber als Todesursachen angaben, wurden auch von Lublin mit der Post versandt. Diese Irreführung sollte verhindern, dass Angehörige Nachforschungen anstellten.

Lina Cramer musste nach dem Tode ihres Mannes ihre Wohnung verlassen und wurde, wie 9_Lina Cramermehrere andere Jüdinnen und Juden, in das jüdische Gemeindehaus in der Kampstraße 6 zwangseingewiesen. Am 31. Juli 1942 wurden vermutlich über dreißig jüdische Menschen in Minden von der Gestapo verhaftet und zunächst nach Bielefeld und von dort in das KZ Theresienstadt deportiert. Unter ihnen befand sich auch Lina Cramer. Am 15. Mai 1944 wurde sie von dort mit dem Transport DZ-2151 nach Auschwitz deportiert. Hier wurde sie ermordet. Der Tag und die Umstände ihres Todes sind unbekannt. Sie wurde offiziell zum 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Die drei Söhne des Ehepaares Cramer konnten rechtzeitig vor Kriegsbeginn Deutschland verlassen; sie haben das Naziregime überlebt.