23. Station: Königstraße 37

Familie Aronstein, Frommet Rosenfeld (genannt Fanny) geb. Beermann; Johanna und Alfred Selbiger

Familie Aronstein

Im Haus von Frommet Rosenfeld in der Königstraße 37, das 1939 von den Nazis zu einem sog. „Judenhaus“ gemacht wurde, war auch die letzte frei gewählte Wohnung von Georg Emil Aronstein und seiner Ehefrau Käthe, Käthchen genannt. Sie lebten hier seit 1935 mit ihrer Tochter Ruth. Die Familie gehörte zur jüdischen Gemeinde.

Georg Emil Aronstein wurde 1891 in Hamm geboren. Er war Bankkaufmann. Er nahm als Soldat am 1. Weltkrieg teil, aus dem er als Kriegsversehrter zurückkehrte. 1921 kam er nach Minden, wo er im selben Jahr Käthe Steinfeld heiratete. Sie wurde 1895 in Minden geboren. Ihr  Vater war Inhaber des Bankhauses Theodor Steinfeld & Co. in Minden. In dieses Bankhaus trat Georg Emil Aronstein als Mitinhaber ein. 1922 wurde Ruth als einziges Kind des Ehepaares geboren.  Die Familie wohnte bis 1927 in der Viktoriastraße 7, danach in der Kaiserstraße 31. Im Verlauf der großen Bankenkrise in Deutschland musste 1931 auch das Bankhaus Theodor Steinfeld & Co. geschlossen werden. Georg Emil Aronstein arbeitete seitdem als Rechtsberater und Vertreter und als Prokurist einer Hamburger Reederei. 1935 bezog er mit Frau und Tochter eine große Wohnung im Hause Königstraße 37.

Seit der Machtübergabe an die Nazis 1933 litt auch die jüdische Familie Aronstein zunehmend unter Diskriminierung und Entrechtung. Tochter Ruth, die seit 1933 das Mindener Lyzeum besuchte, wurde 1938 wegen ihres jüdischen Glaubens der Schule verwiesen. Nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde Georg Emil Aronstein durch die Gestapo verhaftet und einen Tag im Polizeigefängnis Minden inhaftiert. Danach wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, aus dem er am 12. Dezember 1938 zurückkehrte. 1939 stellte das Ehepaar einen Antrag auf Auswanderung nach Großbritannien, der von den deutschen Behörden abgelehnt wurde. Der Tochter Ruth gelang es, am 20. Juni 1939 mit einem der Kindertransporte nach England zu emigrieren; sie konnte so die Shoah überleben. Ihre Eltern wurden gemeinsam am 13. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Hier wurden sie zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Ghetto ermordet.

Frommet Rosenfeld (genannt Fanny) geb. Beermann

Das Haus Königstraße 37 hat eine besondere Vergangenheit. Es war ab Oktober 1939 eines der sogenannten „Judenhäuser“ in Minden. In diese Häuser wurden Jüdinnen und Juden, die man vorher aus ihren Wohnungen vertrieben hatte, zwangseingewiesen. Sie lebten hier in großer Zahl und in bedrückender Enge bis zum Tage ihrer Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungs- lager.

Dieses Haus war bis Oktober 1939 Eigentum und Wohnung von Frommet Rosenfeld, die Fanny genannt wurde. Sie wurde am 6. Juni 1863 als Frommet Beermann in Balge bei Nienburg geboren. Sie war Jüdin. Wann sie nach Minden kam, wissen wir nicht, sie ist aber seit 1903 in den Adressbüchern der Stadt verzeichnet. Über ihren Ehemann Albert Rosenfeld wissen wir, dass er Viehhändler war und vor 1937 verstorben ist. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Tochter Else und  Sohn Berthold sind 1910 bzw. 1921 von Minden verzogen; die Schicksale der beiden sind ungeklärt. Tochter Johanne (oder Johanna) war mit dem Kaufmann Sally Selbiger aus Minden verheiratet; die Ehe wurde um 1928 geschieden. Sie wurde 1942 mit ihrem Sohn in das Ghetto Warschau deportiert, wo beide umkamen.

Vor dem 21. April 1939 wurde Frommet Rosenfeld gezwungen, ihr Eigentum zu verkaufen; es wurde „arisiert“. Käuferin war die Witwe Auguste Jacke aus Hannover. Der Erlös kam aber nicht Frommet Rosenfeld zugute, sondern fiel an das Deutsche Reich.

Am 31. Juli 1942 wurde Frommet Rosenfeld  zusammen mit vielen anderen Jüdinnen und Juden aus Minden zunächst nach Bielefeld verschleppt und von dort in das KZ Theresienstadt deportiert. Zirka 7 Wochen später, am 23. September des Jahres, wurde sie weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Dort wurde sie ermordet. Über den Tag und die Umstände ihres Todes liegen keine Angaben vor.

Frommet Rosenfeld hatte eine Enkelin: Die Tochter von Berthold, Anita, verheiratete Mamroth, geboren am 27. Juli 1924. Diese konnte rechtzeitig nach Frankreich fliehen und so der Verfolgung entgehen. Später lebte sie in den USA. 1952 wurde das Haus ihrer ermordeten Großmutter an sie zurück erstattet.

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Johanna und Alfred Selbiger

Im Hause von Frommet Rosenfeld in der Königstraße 37 wohnten seit den 20er Jahren auch ihre Tochter Johanna und ihr Enkel Alfred, genannt Fredi, beide jüdischer Religion.

Johanna wurde am 12. Januar 1897 in Minden geboren. Über die ersten beiden Jahrzehnte ihres Lebens liegen keine Informationen vor; möglicherweise hat sie einige Jahre in Berlin gelebt. 1924 heiratete sie Albert Selbiger, genannt Sally. Die Ehe wurde 1929 geschieden. Das Schicksal ihres Ehemannes ist nicht bekannt.

Am 07. März 1925 wurde der Sohn Alfred geboren. Wahrscheinlich seit 1935 besuchte er die Mindener Knabenmittelschule, von der er am 15. November 1938 wegen seines jüdischen Bekenntnisses verwiesen wurde. Er begann danach eine Schlosserlehre. 1940, das genaue Datum ist nicht bekannt, zog er nach Hamburg, wo er im Grindelstieg 4 wohnte. Schon am 6. Juli des Jahres kehrte er nach Minden zurück, um sechs Wochen später erneut nach Hamburg umzuziehen. Noch im Jahre 1940 kam er wieder zurück in die Wohnung seiner Mutter.

Hier lebten Mutter und Sohn noch bis zum 29. Juli 1942. An diesem Tage wurden sie verhaftet und nach Bielefeld transportiert. Zwei Tage später wurden sie zusammen mit vielen anderen Jüdinnen und Juden in das Warschauer Ghetto deportiert. Hier kamen beide um; ihre Todestage und die Umstände ihres Todes sind nicht bekannt.